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Reformpädagogik reflektiert


1. Gründungszeit - 2. Konferenzen - 3. Friedensbewegung - 4. Zeit des Nationalsozialismus - 5. Welt des Kindes - 6. Folgen der Diktatur - 7. Conclusio - 8. freiheitliches Denken - 9. Grundpositionen des Weltbundes
WEE: Wofür steht die älteste reform­päd­ago­gi­sche Scientific Community - und wie sehr ist sie von dem unseligen Zeitalter des Nationalsozialismus' betroffen gewesen?

Gerd-Bodo von Carlsburg


1 Die Gründungszeit des Weltbunds

Der Weltbund für Erneuerung der Erziehung - New Education Fellowship (WEE - WEF) als älteste internationale erziehungswissenschaftliche Gelehrtengesellschaft (International Scientific Community) und zugleich praxisnahe pädagogische Gemeinschaft, verstand sich seit seiner Gründung 1921 in Calais immer als das wichtigste Forum der Reformpädagogik der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Initiatorinnen und Initiator waren: die Engländerin Beatrice Ensor (1885-1974) für die weltweite internationale Vereinigung, die in Deutschland lebende Schweizerin Elisabeth Rotten (1882-1964) für die deutschsprachige Sektion, für die französischsprachige Sektion der heute noch in der Wissenschaft eine hohe Anerkennung genießende Genfer Pädagoge Adolphe Ferrière (1879-1960). Elisabeth Rotten gab seit 1922 die in Berlin verlegte Zeitschrift "Die Neue Erziehung" heraus; zugleich erschien als Vierteljahresbeilage "Das Werdende Zeitalter", das deutsche Organ des Internationalen Arbeitskreises für Erneuerung der Erziehung. Für die internationale Vereinigung gibt es als Forum seit 1920 die Zeitschrift "The New Era", die schon prominente Mitwirkung durch Alexander Sutherland Neill (1883-1973) erfuhr, der seine Arbeit in Summerhill kritisch zur Diskussion stellte, dessen Schriften "Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung. Das Beispiel Summerhill" (1965, dtsch. 1969), "Das Prinzip Summerhill: Fragen und Antworten. Argumente, Erfahrungen, Ratschläge" (1967, dtsch. 1971) sowie "Die grüne Wolke. Den Kindern von Summerhill erzählt" (1938, dtsch. 1971) in den siebziger Jahren hunderttausende Leser fanden.

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siehe paed.com
2 Internationale Konferenzen des Weltbunds

Die internationalen Konferenzen 1923 in Montreux, 1925 in Heidelberg, wo Martin Bubers (1878-1965) Rede "Erziehung und Freiheit" ein stark internationales Echo fand, 1927 in Locarno, 1929 in Helsingør und 1932 in Nizza, gaben richtungweisende Impulse für die 'Erziehung vom Kinde aus'. Alle Referenten/innen besaßen große Reputation und schrieben nach diesen Konferenzen gefragte Publikationen. Sprecher dieser internationalen Bewegung waren u.a. der Genfer Pädagoge Pierre Bovet (1878-1965), der bereits erwähnte Heppenheimer Religionsphilosoph und Pädagoge Martin Buber, verbunden mit der Odenwaldschule Ober-Hambach, 1910 durch Paul Geheeb (1870-1961) und Edith Geheeb-Cassirer (1885-1982) gegründet, die 2015 Insolvenz angemeldet hatte, die zur Schließung führte, da die schleppende Aufarbeitung der sexuellen Verbrechen sowie der daraus resultierende Schülerschwund ihre Spuren hinterlassen hatten. Weiterhin sind zu erwähnen: der Brüsseler Pädagoge, medizinische Psychologe und Schulgründer Ovide Decroly (1871-1932), der Chicagoer und spätere New Yorker Pädagoge John Dewey (1859-1952) mit seinem Hauptwerk "Demokratie und Erziehung" (1916, dtsch. 1930), der bereits genannte Paul Geheeb (Landerziehungsheime Haubinda, Schloss Bieberstein, Freie Schulgemeinde Wickersdorf, Gründung der Odenwaldschule [1910-1934], Aufbau der Ecole d'Humanité in Hasiberg/Goldern im Berner Oberland [1934-1961]), die italienische Medizinerin und Pädagogin Maria Montessori (1870-1952) - Montessorischulen, die Amerikanerin und Montessorischülerin Helen Parkhurst (1887-1973) - Dalton-Plan (1922), der besonders in den USA und England Anklang fand, sowie der Jenenser Pädagoge Peter Petersen (1884-1952) - Jena-Plan-Schulen. Besonders Maria Montessori pflegte eine enge fruchtbare Zusammenarbeit mit den führenden Mitgliedern des Weltbunds, sah in dieser Vereinigung eine starke geistige Verwandtschaft mit ihren eigenen Ansätzen, nämlich die Erziehung zum selbstbestimmten Lernen, die Priorisierung insbesondere folgender Unterrichtsprinzipien im Handlungsorientierten Unterricht, die der Ganzheitlichkeit mit Körper, Seele, Geist geschuldet sind: Individualität, Anschaulichkeit, Naturgemäßheit, Exemplarizität und Lebensnähe, hier Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) - 'Hilfe zur Selbsthilfe' - und John Dewey - 'Learning by doing' - rekurrierend.

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3 Der Weltbund als Friedensbewegung

"The New Era" veröffentlichte viele der von M. Montessori anlässlich der internationalen Weltbund-Kongresse gehaltenen Vorträge. Im September 1932 erschien ihr in Nizza gehaltener Vortrag "Disarmament in Education" (Abrüstung in der Erziehung) in der "The New Era", ein Beitrag, der sich insbesondere damit befasst, dass die Welt der Erwachsenen unseren Lebensalltag bestimmt, einen Alltag, in dem das Kind viel zu wenig seinen Platz und Valorisierung findet. Sie legte damit den Grundstein zu einer Friedenspädagogik, einer Erziehung zu Solidarität und Demokratieverständnis in der Gemeinschaft, wie sie auch heute noch in der Heidelberger Internationalen Gesamtschule (Friedensschule) im Sinne von Erziehung zur Humanität und Schulleben als selbstgelebtes Erleben von Verantwortung für sich selbst und den Anderen praktiziert wird, mitbegründet von Hermann Röhrs (1915-2012), Nestor der deutschen Friedenspädagogik. Es lernen dort gemeinsam nicht nur deutsche und amerikanische Schüler, sondern junge Menschen aus vielen Nationen, wie sie insbesondere auch in der Ecole d'Humanité vorzufinden sind, wo ca. 150 Internats-Schüler/innen aus etwa 25 Nationen vertreten sind. Aus Osteuropa kommend, lernte ich dort eine Ungarin kennen, die die 12. Klasse besuchte, die sieben Jahre zuvor nach Deutschland kam, dann in die Ecole wechselte und anschließend in Kanada zu studieren vorhatte, einen Sudanesen, der mich fragte, ob er deutsch, schweizerdeutsch oder englisch mit mir sprechen solle, und er war perfekt im Schweizerdeutsch. Ein Stück Globalisierung auf dem Gebiet der Bildung auf der Grundlage der Ideen des Weltbunds und seines damaligen Sprechers Paul Geheeb.

Im Jahre 1931 wurde Erich Weniger (1894-1961), der bis vor 1933 die preußischen pädagogischen Akademien, nach 1945 die pädagogischen Hochschulen mitbegründete und als Nachfolger von Herman Nohl (1879-1960) 1950 an die Universität Göttingen berufen wurde, Präsident eines Vorstands, dem auch der preußische Kultusminister (1925-1930) Carl Heinrich Becker (1876-1933) angehörte, Vater von Hellmut Becker (1913-1993), dem ersten Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin-Dahlem (1966-1975).

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4 Der Weltbund nach der Zeit des Nationalsozialismus'

Von 1933 bis 1945 kam der Weltbund im europäischen Sprachraum weitgehend zum Erliegen, besonders im deutschsprachigen Raum, wo alle Aktivitäten untersagt wurden, weil sie dem nationalsozialistischen Gedankengut entgegenstanden. Nach ersten Kontakten in die USA und England ab 1945 wurde 1951 die deutschsprachige Sektion des Weltbunds auf Initiative von Elisabeth Rotten in Jugenheim/Bergstraße neu gegründet. Die Heidelberger Pädagogen, als Mitglieder des Präsidiums des Weltbunds für Erneuerung der Erziehung (deutschsprachige Sektion) Volker Lenhart (geb. 1939), der Gruppenpädagoge und Präsident des WEE, 1972 Präsident der International Society for Group Activity in Education, 1973 Vorstand der Gesellschaft für Gruppenarbeit in der Erziehung (GGE), Ernst Meyer (1920-2007), Hermann Röhrs als langjähriger Präsident und Ehrenpräsident mit einer Reihe von Editionen und Beiträgen zur Reformpädagogik und zum Weltbund, insbesondere sei verwiesen auf "Der 'Weltbund für Erneuerung der Erziehung' - ein Forum für die Entfaltung der Reformpädagogik" (1991, in: Bildung und Erziehung, H. 44, S. 223-225), sowie Horst Hörner als mein kurzzeitiger Vorgänger im Amt, haben die reformpädagogischen Ideen umgesetzt und zeitgemäß neu interpretiert, was auch durch das heutige Präsidium, Gerd-Bodo v. Carlsburg, Präsident seit 1998, Uta-Christine Härle, Vizepräsidentin, im Diskurs mit der International Scientific Community und den noch bestehenden reformpädagogischen Institutionen und Schulen sowie den erziehungswissenschaftlichen Gesellschaften und gesellschaftspolitischen Stiftungen (insbesondere ZEIT-Stiftung) durchgeführt wird.

Mit der Gründung des Europäischen Pädagogischen Symposions Oberinntal (EPSO) im Jahre 1974 wurde eine neue Plattform des internationalen Gedankenaustauschs geschaffen, mitveranstaltet durch den Weltbund. Nach Wechsel des Tagungsorts in süddeutsche und französische Regionen und längerer Pause, personell und finanziell bedingt, hatte sich dieses Symposion als Oberinntaler Diskurse 2004 (ab 2011-2013 Europäische Diskurse) mit Themenstellungen aktueller Herausforderungen im Kontext der Reformpädagogik (Weltbund) wieder etabliert, um wegen finanzieller Einsparungen der österreichischen Bundes- als auch Tiroler Landesregierung sowie der Universität Innsbruck und der Pädagogischen Hochschule Tirol 2013 vorläufig zu enden.

Auch heute hat das Diktum des Weltbunds Bestand, Zielsetzungen der gelebten Reformpädagogik zu vermitteln und in die 'modern-reflexiven' Maximen einer Bildungslandschaft exemplarisch-genetisch zu transferieren, auf das anthropologische Denken und Handeln als wesentlichen Baustein einer 'Schule der Zukunft' zu verweisen, wobei die internationale Community - New Education Fellowship - weltweit engagiert tätig ist, vor allem im fernen Asien, Indien und Australien. Es soll sich hier aber - mit Blick auf die Weiterführung des europäisch- reformpädagogischen Gedankenguts - auf die Reflexion der gegenwärtigen deutschsprachigen Sektion (Deutschland, Österreich, Schweiz, Südtirol und Liechtenstein) beschränkt werden.

Der Weltbund begleitet weiterhin die reformpädagogischen Gründungen, seien es die Schulen der Landerziehungsheimbewegung (u.a. Stiftung Louisenlund, Marienau, Schloss Bieberstein, Haubinda, Ecole d'Humanité), Schule Schloss Salem, die Waldorfschulen oder erzieherische Institutionen, die dem reformpädagogischen Erbe entstammen. Der internationale Erfahrungsaustausch, Literaturstudien und eigene Publikationen, die fachlichen Kontakte und Begegnungen, auch mit dem WEF, sind und bleiben Topos des Weltbunds.

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5 Haben wir es heute schon geschafft, eine 'Welt des Kindes' zu konzipieren?

Unser grenzenloser Egoismus erlaubt uns nur uns selbst. Der polnische Pestalozzi und Kinderarzt Janusz Korczak (1878-1942), der Gründer des Warschauer Kinder- und Waisenheims, der 1942 mit seinen Kindern in die Deportation ins Vernichtungslager Treblinka gegangen ist, anstatt zu fliehen, wird eine der wenigen historischen Ausnahmen bleiben. Wie J.H. Pestalozzi lebte er für seine Kinder in der 'Welt des Kindes', versuchte dieses Elend, dieses grenzenlose Leid auch als ein Stück Selbsterziehung, Identitätsfindung, in der dual personalen Beziehung Erwachsener - Kind zur Selbstvervollkommnung, zur inneren Stabilität, zu verarbeiten, wie dies auch M. Buber und der von 19241933 in der Mönchhofstraße 15 in Heidelberg lebende und agierende Sozialphilosoph und Psychoanalytiker Erich Fromm (1900-1980) interpretierten. Übrigens war Fromm Heidelberger Studiosus der Soziologie, Psychologie und Philosophie und promovierte 1922 bei Alfred Weber.

War es eines der wichtigen Erziehungsziele der Reformpädagogik, selbstständiges und explorierendes Lernen sich anzueignen und konkludentes, divergierendes Denken zu entwickeln, Bildung zur Selbstbildung, die Handlungsmündigkeit generiert, die diesen Bildungsgedanken in einen emanzipatorischen Erziehungsmodus transferierte, so ist aus heutiger Sicht uns klar bewusst, warum seit 1935 in der Stalin-Ära und schon seit 1933 mit Beginn des Nationalsozialismus' diese Gedankenfreiheit, die der mit dem Mannheimer Nationaltheater (1783-1785) verbundene Dramatiker Friedrich v. Schiller (1759-1805) in "Kabale und Liebe" (1784) einforderte, abgeschafft wurde, weil freies Denken und Handeln und Verhalten andere Normen impliziert als die sogenannten 'neuen' deduktiv-demagogischen Erziehungsmethoden der Nazis ab 1933 - Heidelberg war durch den nationalsozialistischen Lehrstuhlinhaber für Philosophie und Pädagogik und späteren Rektor (1937-1938) Ernst Krieck (1882-1947) federführend in der (antisemitischen) Ideologie verankert, verfasst in seinen Werken "Nationalpolitische Erziehung" (1932) und "Nationalsozialistische Erziehung. Begründet aus der Philosophie der Erziehung" (1935). Krieck spricht von "Rassegefühl", von der Überlegenheit der eigenen Rasse und der Erziehung im Sinne von "Zucht", nicht in der Herbartschen Diktion, sondern im Sinne einer "Selbsterziehung" von blindem Gehorsam als Methode und 'völkisch-ideologischer Verschmelzung' (Assimilation) mit dem 'Rasse(werte-)bewusstsein' des 'Führers'. Man brauchte den gehorsamen Befehlsempfänger, der die klaren Anweisungen aus dem 'Volksempfänger' umsetzte, und strikte Unterordnung unter das Diktat dieses Psychopathen Adolf Hitler (1889-1945), die Entwicklung einer Schule, die eine 'kämpferische Haltung' gegenüber anderen Rassen evozieren sollte. Denken und Handeln sowie antisemitisches Verhalten wurde befohlen, Mitdenken durften nur die inzwischen zur Inhumanität abgerichteten 'Unter-Führer' im Führungskader A. Hitlers.

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6 Diktatur und ihre Folgen

Es ist unfassbar, dass Menschen solche Grausamkeiten begehen konnten. Aber diese verbrecherisch-verblendete 'Aufzucht' im Kreise 'ihres Führers' verdient nicht diese Bezeichnung. Es bleibt ein Schandmal. Genauso hat Stalin seine psychopathischen Visionen ausgelebt, wie jeder Diktator.

Ein Beispiel: Die deutsche Okkupation von 1941 bis 1944 bleibt in Litauen stets in Erinnerung. Was die Nazis in den baltischen Ländern nicht deportiert oder erschossen hatten, wer nicht hungers krepiert war, wer nicht geflüchtet, kam in den Gulag. Das gilt ebenso für die Widerstandskämpfer gegen die sowjetische Okkupation. Über 200.000 Litauer der damals ca. 2,5 Millionen Einwohner blieben in Sibirien verschollen. In Vilnius lebten am 24. Juni 1941, dem Tag der Besitzergreifung, knapp 170.000 Menschen, davon ca. 75.000 Juden, und noch zusätzlich über 135.000 in ganz Litauen. Anfang September begannen die ersten Erschießungen tausender Juden in Ponar, einem Ort am Rande Vilnius', inzwischen Stadtgebiet. Zugleich erfolgte die Ghettoisierung in zwei Ghettos, die durch die heutige Vokie.i. gatv. (Deutsche Straße) geteilt waren. In das Altstadt-Ghetto wurden anfangs ca. 11.000 Juden eingepfercht, in das große ca. 19.000. Wer für die Besatzer als Arbeitskraft 'wertlos' war, wurde in Ponar erschossen. Eine alte Kultur mit eigenen Bildungsstätten, eigenen Zeitungen, Bibliotheken, eigenem Theater, Buchdruck unterlag dem Holocaust innerhalb zweier Jahre bis zur Auflösung im Sommer 1943, danach begann die ausschließliche Deportation in die Konzentrationslager wie Auschwitz. Unter 10% (ca. 4000-5000) überlebten. Weitere 50 Jahre sowjetischer Besatzungszeit zerschlug endgültig die jüdische Kultur und die Renaissance des geistigen und geschäftlichen Lebens, die zerstörte Große Synagoge und der jüdische Friedhof wurden 'eingeebnet', über 450 Jahre jüdische Tradition vernichtet. Im kleinen Ghetto, d.h. im Zentrum der Altstadt, steht heute zur Erinnerung eine Stele des berühmtesten jüdischen Sohns dieser Stadt, der "Gaon von Vilnius" (Weise von Vilnius), Rabbiner, mit eigentlichem Namen Elijah Ben Salman (17201797). Er symbolisiert eine Zeit, in der in Vilnius über 100 Synagogen das Stadtbild zierten. Seinen Namen trägt auch das Vilna Gaon Jewish State Museum.

Vilnius galt schon um 1900 mit ca. 65.000 Juden als das 'Jerusalem des Ostens'. Etwa 70 Betschulen und 5 Synagogen prägten neben ca. 70 Türmen von Kathedralen, Kirchen und Klöstern das Stadtbild, berühmte Juden lebten in dieser Stadt, deren Ghetto total zerstört wurde. Heute leben etwa 3000 jüdische Einwohner, die meisten aus den U.S.A. zurückkommend, wieder in diesem Teil einer Altstadt, in der ca. 150.000 Menschen das Leben teilen, eine Stadt der Renaissance- und Vilnenser Barockbauten, die zum Weltkulturerbe erhoben wurde. Es gibt in Litauen wieder die ersten beiden sanierten und restaurierten Synagogen. Die ZEIT-Stiftung hat ein großes Projekt in Marijampole finanziert. Jascha Heifetz besuchte die Musikschule, und Leonard Bernstein war seit Anfang 1990 eng mit der Musikakademie verbunden, die ihm die Ehrendoktorwürde verlieh. Ihre Namen stehen für eine tradierte jüdische Kultur hoher Wertschätzung.

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7 Conclusio

Enkulturation, die Hinführung zu den kulturellen Werten der Gesellschaft, sie gilt als wesentlicher Anteil einer Bildung und Erziehung zum Frieden, als Prozess lebenslangen Lernens, die drei LLL der EU, die auch für Life-Long- Learning stehen. Diesem Prozess des Voranbringens auf wissenschaftlicher Ebene und der Umsetzung in der Praxis sieht sich der Weltbund stets verpflichtet. Hermann Röhrs hatte einen Anfang mit der Friedensschule initiiert. Sein Engagement soll in Gedenken an ihn im Weltbund fortgesetzt werden.

Alle noch existierenden reformpädagogischen Schulgründungen standen und stehen für einen Wechsel von Wissensvermittlung zu eigenständigem Entscheiden und tragen somit wesentlich zum sozialen Wandel als adaptativgenetischen Prozess einer gesellschaftlichen Umgestaltung bei, die damit beginnt, dass gleiche Rechte für alle schon in der Schule gelten und die leidige Disziplindebatte, seit Bernhard Buebs (geb. 1938) "Lob der Disziplin" (2006), ehemaliger Direktor der Schule Schloss Salem (gegründet 1920 durch Kurt Hahn [1886-1974]), wieder Modetrend, überhaupt kein Thema sein darf, über das es sich zu diskutieren lohnt. Fairerweise sei auch auf die Gegendarstellung des von Micha Brumlik (geb. 1947) edierten Bandes "Vom Missbrauch der Disziplin: Antworten der Wissenschaft auf Bernhard Bueb" (2007) verwiesen.

Wir müssen unsere Schule 'denken' und entdecken im Sinne einer 'Schule als Vorbereitung auf das Leben', einer Bildungsstätte der 'freien geistigen Tätigkeit/ Arbeit', die zu Selbsttätigkeit, Autonomie und Verantwortung befähigt (vgl. Hugo Gaudigs 1922 im Auftrag des Zentralinstituts für Erziehung und Unterricht herausgegebenen Band "Freie geistige Schularbeit in Theorie u. Praxis"), will meinen Freiheit nicht als Freiheit für sich, Egozentrismus, Narzissmus, sondern als Chance zur Gestaltung von Lebensperspektiven, Lebenskunst in einer demokratischen Zivilgesellschaft. Diese Freiheit beinhaltet auch, sich zur Disposition stellen zu können, zuzugeben, dass man Fehler macht, aus diesen lernt, anderen Menschen präventiv oder interventiv zur Seite steht. Vorbilder werden damit kein Quäntchen Autorität verlieren, sondern in der Achtung des Anderen steigen, tragen sie doch auch ein Stück dazu bei, dass Eskalation vermieden werden kann. Dies ist ein Stück weiter gelebtes reformpädagogisches Bildungsgut und 'Grundaxiom' ("Das Grundaxiom des Bildungsprozesses und seine Folgerungen für die Schulorganisation", 1917) im Verständnis Georg Kerschensteiners (1854-1932), dem wichtigsten Vertreter der Pestalozzi-Rezeption, der im Gegensatz zu H. Gaudig, der der 'geistigen Arbeit' als konkludentem Denken Priorität zusprach, in der teleologisch-manuellen Tätigkeit den originären Ursprung des Erwerbs von Denkkraft, d.h. Berufsbildung, Hauptgewicht zugestand. Wir müssen mehr um die Biografie des Anderen wissen, um ihn besser in seinem Verhalten zu verstehen. Dieses biografische Arbeiten fängt schon in der Schule an, sollte gerade in den Schulen mit hohem Migrationsanteil Normalität werden. Das Erlernen eines rational- und emotionsgesteuerten Umgangs mit dem Anderen, egal welcher Nationalität und Herkunft, beginnt mit einem begleitenden Umgang des Kindes in der Primärsozialisation und der Hinführung zum sozialen Handeln in der Gemeinschaft. Auch dies sieht der Weltbund mit Bezug auf die reformpädagogische Bewegung als wichtige Aufgabe.

Der Humanist, Enzyklopädist, Pansophist, Theologe und Pädagoge Johann Amos Comenius ([Jan Amos Komensk.] 1592-1670), Student der RuprechtKarls- Universität Heidelberg (1613-1614), postuliert in seinen beiden Werken die Wertschätzung und Bindung als auch das lebendige, entdeckende Lernen unter Einbezug aller Dinge 1. im "Informatorium der Mutterschul" (1633 im polnischen Lissa publiziert) sowie die Verbesserung der sinnlich-realen Wahrnehmung und Darstellung im Mikro- und Makrokosmos, d.h. Anschaulichkeit, Naturgemäßheit, Freiheit und Selbstbestimmung sowie spielerisches Lernen 2. in der "Schola ludus" (Die Schule als Spiel), acht Aufführungen für das Jahr, 1654 in Sárospatak geschrieben, 1659 als Frankfurter Ausgabe erschienen. 'Spiel in der Schule', eine zur Erkenntnis führende poetische als auch handlungsorientierte Maxime des Comenianischen Bildungsideals, wiederentdeckt in der Epoche der Reformpädagogik, spiegelt schon ca. 150 Jahre früher das ganzheitliche anthropologische Denken und Handeln des Pforzheimer Juristen, württembergischen und pfälzer Gesandten, Humanisten, Hebraisten Johannes Reuchlin (1455-1522) wieder (Komödie "Scenica Progymnasmata", kurz "Henno" genannt, um 1497). Er war der Großonkel des Renaissancehumanisten, Reformators und Theologen sowie Gräzisten Philipp Melanchthon ([Schwartzerd/Schwarzerdt] 1497-1560), zweiter praeceptor Germaniae, aus Brettheim (heute Bretten), der (Schul-)Drama (siehe "Henno") als wichtige Bestimmung und Bildung von Welt definierte (Enkulturation), die Welt als erlebnisorientierte und dramaturgisch-poetische Unterweisung mit sittlicher Vertiefung der Menschenbildung durch die "Septem artes liberales" (sieben Künste der Freien), Rhetorik zur Festigung des Sprachschatzes (Lateinschule).

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8 Beispiele freiheitlichen Denkens

Für diese Postulate steht ebenfalls die reformpädagogische Bewegung, insbesondere der Weltbund als Förderer von Initiativen einer Selbstbestimmung des Menschen, als Unterstützer erlebnispädagogischer Initiativen, als pädagogischer Mittler zwischen Kind und Erwachsenem, als Katalysator eines besseren Umgangs und Internalisierer für Gleichheit und Brüderlichkeit unter den Menschen, als Ermahner, Andersartigkeit anzuerkennen, ohne Gewalt und Aggression zu entwickeln, darüber zu reflektieren im Sinne von gegenseitigem Verstehen, Abbau von Hass, das personale Du im Anderen zu sehen, wie es Martin Buber lebte, Liebe zu entwickeln ohne Eigenliebe und Narzissmus, Liebe als Grundbasis pädagogischer Bindung.

Der schändlichen Verschleppung von Andersdenkenden und der Ausgrenzung von Menschen anderer Nationalität oder Glaubens, insbesondere Juden, Roma und Sinti, mit einer großen geistigen Tradition und bedeutenden Kultur, mit vielen berühmten Namen, Genies, die zu einer unglaublichen und durch nichts zu rechtfertigenden Abschlachtung von Menschen durch inhumane Verbrecher führte, hätte einer schon damaligen sofortigen Gegensteuerung bedurft, um diesen Holocaust zu verhindern. Somit bleibt die Frage im Raum, warum nicht mehr Menschen sich gegen den Nationalsozialismus erhoben haben. Aber der Mensch benötigt, um 'zum Menschen gebildet und erzogen zu werden' (J.A. Comenius, I. Kant [1724-1804]), wohl auch eine Erziehung zur Zivilcourage. Mein Patenonkel Hans-Jürgen Frhr. v. Rosen trug als junger Hauptmann i.G. im Führerhauptquartier (Wolfsschanze), neben Oberst i.G. Claus Schenk Graf v. Stauffenberg (1907-1944) gehend, die Sprengladung in einer ledernen Aktentasche. Ich habe ihn nach seiner Flucht noch in selbiger Nacht (20./21. April 1944) über die Ostsee nach Schweden, um der geplanten Exekution am 21. April 05.00 Uhr zu entgehen, öfters besucht und lernte daraus: Das Vergangene lässt uns einerseits verzweifeln, aber das Erfahrungslernen, die Lernprozesse, die wir daraus gewonnen haben, lassen uns hoffen, dass so etwas nie wieder passieren möge. Eine gute Politik ist immer das Ergebnis einer guten Erziehung, einer Erziehung zu Humanität und Zivilcourage. Die Reformpädagogik hat durch ihre Freiheit des Denkens einen wichtigen Meilenstein gesetzt. Diese vom Weltbund in seinen Zielsetzungen verankerte Philosophie ist ein wichtiger Baustein im Gefüge menschlichen Zusammenlebens, Integration, die die Migrationsproblematik einschließt, die eigentlich keine Problematik mehr sein darf. Sie ist der Promotor für gegenseitige Akzeptanz und für ein Zusammenleben in Humanität, der Entwicklung eines Wir-Gefühls. Dass wir danach handeln müssen, ist eine Conditio sine qua non, und dies sollten wir aus Auschwitz und all den anderen Schrecken des Nationalsozialismus' gelernt haben.

Meine Gedankengänge enden mit Johann Wolfgang v. Goethes (1749-1832) "Faust: Der Tragödie erster Theil" (Goethes Werke, Fünfter Band, S. 25, gedruckt in der Cotta'schen Buchhandlung, Stuttgart 1866):

"Doch werdet Ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es Euch nicht von Herzen geht."

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9 Grundpositionen der Reformpädagogik / des Weltbunds

  1. Kinder und Jugendliche verstehen und von ihnen her denken
  2. Verändertes Lehrer-Schüler-Verhältnis realisieren
  3. Selbständigkeit und Selbsttätigkeit fördern
  4. Ganzheitlichkeit lehren und lernen
  5. Vielfältige und lerngerechte Umgebungen schaffen
  6. Lebensweltorientierung der Lehrpläne umsetzen
  7. Gemeinschaft über Konkurrenz stellen
  8. Ausgrenzungen überwinden
  9. Kultur des Lebens und Arbeitens entwickeln
  10. Interdisziplinarität und Internationalität beachten