Denise Francis Hermann


Entwicklung kindlicher Identität in der Grundschule
auf der Basis des künstlerischen Projekts "Meine Lebenswelt und ich"
unter Einbezug Viktor Frankls Vorstellung zur Persönlichkeitsentwicklung im Kindesalter


Referent:

Prof. Dr. phil. Dr. h.c. mult. Gerd-Bodo von Carlsburg



Korreferentin:
StR'in Maria Klima-Hahn


Heidelberg, den 02.08.2016





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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Identität und Persönlichkeit
    2.1 Persönlichkeit
    2.2 Der Begriff der Identität
    2.3 Personale Identität, Soziale Identität und Ich-Identität
    2.4 Ethnische Identität 15
    2.5 Die Beziehung von Persönlichkeit und Identität
3. Theorien der Persönlichkeitsentwicklung mit Blick auf die Grundschulzeit
    3.1 Begriffserklärung: Entwicklung
    3.2 Sigmund Freuds Entwicklungstheorie
    3.3 Eriksons Theorie der psychosozialen Entwicklung
    3.4 Rogers klientenzentrierte Persönlichkeitstheorie
4. Zwischenfazit: Die Entwicklung von Identität und Persönlichkeit in der Kindheit

5. Entwicklung von Persönlichkeit und Identität
    5.1 Das Selbst
    5.2 Die Entwicklung des Selbstkonzepts
    5.3 Selbstwert
6. Viktor Frankl und die Existenzanalyse
    6.1 Die Person Viktor Frankl
    6.2 Viktor Frankls Existenzanalyse und seine Vorstellung zur Persönlichkeitsentwicklung im Kindesalter
      6.2.1 Die Existenzanalyse
      6.2.2 Viktor Frankls Vorstellung zur Persönlichkeit des Kindes und die Anwendung auf die Pädagogik
    6.3 Sinn und Identität
7. Identität als Bildungsaufgabe in der Institution Schule?

8. Kunst und Persönlichkeitsentwicklung in der Grundschule
    8.1 Einblick in die aktuelle Kunstdidaktik
    8.2 Der Einfluss künstlerischer Tätigkeit auf Persönlichkeit und Identität
9. Das Kunstprojekt Meine Lebenswelt und ich
    9.1 Rahmenbedingungen des Kunstprojekts
      9.1.1 Leitende Fragestellung
      9.1.2 Institutionelle und Personelle Voraussetzungen
      9.1.3 Methodisch-didaktische Planung
      9.1.4 Verlaufsplanung
      9.1.5 Relevanz der geplanten Einheit und angestrebte Kompetenzen
    9.2 Strukturierte Phase des Projekts
      9.2.1 Vorwort
      9.2.2 Strukturierte Phase
    9.3 Offene Phase des Projekts
      9.3.1 Einstieg in die offene Phase
      9.3.2 Änderung des Konzepts: Wechsel zur Werkstatt
      9.3.3 Die Kunstwerkstatt
      9.3.4 Resümee des Kunstprojekts "Meine Lebenswelt und ich"
10. Abschließendes Fazit

11. Literaturverzeichnis

12. Anhang
    12.1 Unterrichtsskizzen
    12.2 Kopfumriss mit Proportionslinie
    12.3 Die kleinen Ichs der Kinder im Überblick
    12.4 Meine Welt

Abbildungsverzeichnis

    Abbildung 1:   Komponenten der Identität (in Anlehnung an Müller 2011, S. 73)
    Abbildung 2:   Die Ebenen der Ich-Identität
    Abbildung 3:   Hierarchisches Selbstkonzeptmodell nach Shavelson, Huber und Stanton (in Anlehnung an Schick 2012, S. 257)
    Abbildung 4:   Selbstdarstellungen von S., N. und A.
    Abbildung 5:   Selbstdarstellungen von M., D. und F.
    Abbildung 6:   Körperumrisse von F. und M.
    Abbildung 7:   Körperumrisse von D. und S.
    Abbildung 8:   Rätselbilder zum eigenen Gegenstand
    Abbildung 9:   F.s Welt der Gefühle
    Abbildung 10: H.s Welt Syrien
    Abbildung 11: Die große Frage 71
    Abbildung 12: D.s, A.s und F.s Selbstbildnis (von links nach rechts)
    Abbildung 13: Z.s Selbstbildnis im Veränderungsprozess
    Abbildung 14: M.s kleines Ich in stetiger Transformation
    Abbildung 15: F.s Unterwasserwelt
    Abbildung 16: D.s Drachenwelt
    Abbildung 17: Z.s syrische Welt
    Abbildung 18: Ausschnitt aus H.s Welt Syrien





1. Einleitung

In der heutigen westlichen Gesellschaft hat sich die Phase der Kindheit stark verändert. Die aktuelle Kindheitsforschung zeigt deutlich, dass fast schon analog "zum Mittelalter - für immer mehr Kinder eine gesonderte Lebensphase Kindheit als Raum für entwicklungs- und altersgemäße Entfaltung nicht mehr existiert" (Hurrelmann 2012, S. 59, Hervorhebung im Original). Schon vor Schuleintritt werden Kleinkinder durch eine intensive Früherziehung mit der Leistungsorientierung konfrontiert. Im Grundschulalter ist für viele Kinder der Erwartungsdruck der Eltern, möglichst gute schulische Erfolge zu generieren, äußerst hoch.

Neben den bereits in frühen Jahren hohen Leistungsanforderungen, hat sich gleichsam das Umfeld und somit der soziale Rahmen für die Persönlichkeitsentwicklung verändert. Unter anderem hat sich das traditionelle Familienbild gewandelt. Durch die heutige Pluralisierung der Lebensformen, ergibt sich eine veränderte Lebensumwelt in der Kindheit. Die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung der Kinder sind heute durch eine starke Medialisierung geprägt. Neben dem großen Einfluss von neuen Medien in der Freizeit, finden sich die räumlichen und sozialen Alltagsbedingungen verändert vor. Kinder können sich in Großstädten nicht mehr frei bewegen. Diese Entwicklung hat zur Folge, dass die Spielerfahrungen meist auf spezielle Orte wie Spielplätze, Wohnungen oder Bildungsinstitutionen begrenzt sind. Durch diese sogenannte Verinselung der Kindheit, ist die körperlich-räumliche Entfaltung der Kinder eingeschränkt (vgl. ebd. S. 60).

Die starken Leistungsforderungen von außen als auch die veränderte Rolle des Kindes im 21. Jahrhundert, beeinflussen die Persönlichkeitsentwicklung und Identität stark. Da immer mehr Grundschulen ein Ganztageskonzept verfolgen, verbringen die Kinder vermehrt Zeit in der Schule. Die Bildungsinstitution hat folglich heutzutage eine viel größere Rolle als Erziehungsinstanz und nimmt dementsprechend auch verstärkt an der Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung teil. Hier stellt sich die Frage, wie neben der Wissensvermittlung innerhalb des Schulkontextes, auf die Entwicklung der kindlichen Identität eingewirkt werden kann. Ferner steht die grundsätzliche Frage, wie es um die Persönlichkeitsentwicklung und das Wissen um die eigene Identität in der Grundschule gelegen ist.

Die Fähigkeit des Menschen sich selbst als Gegenstand eigener Reflexion zu betrachten, kann als das zentrale Merkmal angesehen werden, welches das menschliche Individuum vom Tier unterscheidet. Der Mensch kann über sich selbst gedanklich verfügen: Wer bin ich? Wer will und soll ich sein? Diese gedankliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich kann in erster Linie nur mit der eigenen Person erfolgen. Eine günstige Einwirkung der umgebenden Umwelt des Individuums, könnte positive Auswirkungen auf die Entfaltung der eigenen Potenzialität ermöglichen.

Im Rahmen dieser Arbeit soll geklärt werden, wie sich Identität und Persönlichkeit in der Phase der Kindheit entwickeln. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit im schulischen Kontext Persönlichkeit und Identität unterstützt werden können. Bei der praktischen Durchführung des Kunstprojekts Meine Lebenswelt und ich soll, anhand des künstlerischen Schaffens der Kinder beobachtet werden, inwieweit sich die Persönlichkeit und Identität im den Prozessen und den fertigen Werken widerspiegelt.

Zunächst wird sich einer definitorischen Annäherung an die großen Begriffe der Identität und der Persönlichkeit gewidmet, um einen theoretischen Überblick zu geben. Diese Darstellung kann insbesondere bei der Ausführung zur Identität keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sondern lediglich einen Einblick in das vielschichtige Bedeutungsspektrum geben.

Um die Komplexität der Persönlichkeitsentwicklung und der Identität aufzuzeigen, werden ausgewählte bekannte Theorien zur Persönlichkeitsentwicklung angeführt. Im Vordergrund steht die Bedeutung der (frühen) Kindheit für die Entwicklung von Persönlichkeit. Im Hinblick auf die Grundschulzeit werden insbesondere die Entwicklung des Selbst, die Selbstkonzepte und der Selbstwert näher betrachtet.

In Kapitel sechs wird Viktor Frankls Existenzanalyse dargelegt und auf die Kindheit übertragen. Dabei wird auf die existenzielle Pädagogik, als erzieherische Hilfestellung zur Persönlichkeitsentwicklung, verwiesen. Folgend soll deutlich gemacht werden, wie Identität und der Sinn aus existenzieller Sicht in Beziehung stehen. An dieser Stelle wird zudem der Frage, inwiefern Identität sich als eine Bildungsaufgabe der Institution Schule verstehen lässt, nachgegangen.

Bevor in der Praxis die Identität und die Persönlichkeit von Grundschülern anhand ihrer künstlerischen Betätigung betrachtet wird, sollen die aktuelle Kunstdidaktik und der ihr in der Theorie zugeschriebene Einfluss auf die Persönlichkeit und Identität knapp angeführt werden. Die Durchführung des Projekts Meine Lebenswelt und ich wird in seinen Rahmenbedingungen wiedergegeben und anschließend reflektiv dargelegt. Dabei werden die individuellen Prozesse der Schüler_innen unter dem Blickpunkt der Identität und Persönlichkeit betrachtet.

Ein persönliches Fazit beschließt die Arbeit.



10. Abschließendes Fazit

Die intensive Betrachtung von Persönlichkeit und Identität zeigte deutlich, welche enorme Bedeutung die mittlere Kindheit für die Entwicklung hat. Während der Grundschulzeit differenzieren sich das Selbst, Selbstkonzepte und das Selbstwertgefühl weiter aus und nehmen Einfluss auf die folgenden Lebensphasen. Dabei können sich Fremdeinschätzungen auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirken: Ein Lehrerurteil kann sich deutlich auf das Selbstwertgefühl oder das Selbstkonzept niederschlagen.

Die Bildungsinstitution sollte sich daher in besonderem Maße ihrer Wirkung auf Persönlichkeit und Identität bewusst sein. Eine existenzielle Pädagogik, basierend auf Viktor Frankls Existenzanalyse, kann hier mit ihrer offenen Haltung und wertschätzenden Beziehung, dem Kind Raum geben das eigene Potenzial auszuschöpfen.

Das künstlerische Projekt Meine Lebenswelt und ich macht deutlich, dass Kinder sich je nach Alter sowie Sprach- und Kompetenzniveau beim Basteln, Malen und Zeichnen immer auch durch biographische Bezüge mit ihrer eigenen Person beschäftigen. Jedes Kind bringt seine Persönlichkeit und Identität in das Gruppengefüge und in die gestalterische Tätigkeit mit ein.

In Anbetracht des momentanen Flüchtlingszustroms besitzt das Thema der Identität eine enorme Brisanz. Jeder Geflüchtete setzt seine ethnische Identität mit der fremden deutschen Kultur in Beziehung. Bildungsinstitutionen müssen hier einen interkulturellen Dialog schaffen. Dabei sollten künstlerische Prozesse genutzt werden, um sich mit der Identität und Persönlichkeit auseinanderzusetzen. Die lehrende Person muss jedoch darauf achten die nötige Freiheit zu geben, um dieses Potenzial optimal auszuschöpfen.

Abschließend kann gesagt werden, dass die Grundschule, als gesellschaftsbildende Instanz, nicht nur formale Wissensinhalte vermitteln, sondern sich vermehrt am Individuum orientieren sollte. Dabei steht die Forderung nach einer existenziellen Pädagogik, um der individuellen Entwicklung von Identität und Persönlichkeit gerecht zu werden.

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