Jana Tuschner


Aggression und Gewalt begegnen – Zivilcourage entwickeln
Handlungsstrategien und Trainingsprogramme in der Sekundarstufe I


Erstgutachter:

Prof. Dr. phil. Dr. h.c. mult. Gerd-Bodo von Carlsburg



Zweitgutachterin:
Sylvia Selke


Heidelberg, den 2016





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Vorwort - Mein Fazit



1. Vorwort



(...)

Gibt es einen Tag ohne Gewalttaten? Ist Gewalt doch näher, als wir meistens glauben? Gewalthandlungen, von denen in den Nachrichten berichtet werden, wirken uns fern. Doch wissen wir, was hinter den Türen unserer Nachbarn abläuft?

Wissen wir, was unser Kind in der Schule erlebt? Wir glauben, unsere Kinder sind dort gut aufgehoben, doch viele Schüler und Schülerinnen empfanden Schule alles andere als eine Institution des Wohlbefindens.

Die oben aufgelisteten Zeitungsartikel sollen einen Einblick darüber geben, dass kein Tag vergeht, ohne dass wieder über eine neue Gewalthandlung berichtet wird. Sexualdelikte, Fremdenhass, Amokläufe, Terroranschläge etc. stehen an der Tagesordnung. Dies sind Schlagzeilen, mit denen Kinder und Jugendliche tagtäglich konfrontiert werden, ob in Zeitungen, Medien oder in ihrem eigenen Alltag. Gewalt ist vielen Kindern und Jugendlichen näher, als man auf den ersten Blick denkt. Denn viele von ihnen werden in ihrem eigenen Umfeld schon von klein auf mit direkten oder indirekten Gewalterlebnissen konfrontiert (vgl. Wehr und Carlsburg 2005, S. 5). Das Zitat "Nicht für alle (junge) Menschen stellt Familie einen Ort der Geborgenheit und des friedvollen Miteinanders oder Schule eine Stätte des geistig-seelischen Wachstums dar" (Wehr und Carlsburg 2005, S.5) hat mich zum Nachdenken gebracht. Gewalthandlungen in der Familie und in der Schule werden oftmals totgeschwiegen, um den friedvollen Schein nach außen hin zu bewahren. Deshalb habe ich mich dafür entschieden, meine Zulassungsarbeit über das Thema "Aggression und Gewalt begegnen - Zivilcourage entwickeln - Handlungsstrategien und Trainingsprogramme in der Sekundarstufe 1" zu schreiben, um mich als angehende Lehrkraft für Gewalthandlungen in Schulen zu sensibilisieren und frühzeitig eingreifen zu können.

Dies war für mich der Grund, meine Forschungsfrage folgendermaßen zu formulieren: "Inwiefern findet Gewalt in der Schule statt und wie kann die Institution Schule diese vorbeugen oder gar verhindern?"

Folgende Hypothesen bilden die Ausgangsbasis meiner wissenschaftlichen Arbeit:

  1. Schule ist ein Ort, der selbst Aggressionen und Gewalt erzeugt und nicht nur konfrontiert ist mit Gewalt von außerhalb.
  2. Gewaltprävention muss immer eingebunden sein in ein umfassendes Präventionskonzept, in dem alle am Schulleben Beteiligten involviert sind.
  3. Schule muss sich ändern. Hin zur beratenden Instanz. Und sie muss die Schülerinnen und Schüler hinführen zu einem Bewusstsein des Gewaltpotentials von Schülerinnen und Schülern, um Prävention leisten zu können.
  4. Schule ist ein Ort, an dem überhaupt erst wirksam Prävention geleistet werden kann




7. Mein Fazit

Zur Beantwortung der Forschungsfrage, inwiefern Gewalt in Schulen stattfindet und wie die Schule dieser vorbeugen oder diese gar verhindern kann, wurden von mir zwei Methoden eingesetzt: Literaturrecherchen und Interviews. Die Experteninterviews führte ich mit einem Beratungs- und Präventionslehrer vom Gymnasium und einer Vertreterin der Kirche, die gewaltpräventive Angebote an den Schulen organisiert. Im Folgenden versuche ich mithilfe der Literaturrecherchen und der Interviews meine Hypothesen zu beantworten.

"Schule ist ein Ort, der selbst Aggression und Gewalt erzeugt und nicht nur konfrontiert ist mit Gewalt von außerhalb."

Wie schon oben erwähnt, stimmen meine beiden Interviewten dieser Hypothese zu. Fall B sagt, dass Schule ein sehr geschlossenes System ist. Des Weiteren sagt sie, dass Schule eine Zwangsgemeinschaft sei und diese Konflikte schaffe. Auch Meyenberg und Scholz erwähnen, dass der Zwangscharakter der Schule eine Ursache für schulische Gewalt ist (vgl. Meyenberg und Scholz 1995, S.74 in meiner Wissenschaftlichen Arbeit, Kapitel 3.4). Fall A betont, dass Schule ein strafendes System sei und dies bei den Schülerinnen und Schülern Frust und Ungerechtigkeitsgefühle verursachen könnte. Auch Hurrelmann und Brüdel benennen Faktoren, die auf Seiten der Schüler aggressives Verhalten hervorrufen können. Darunter ist wiederzufinden, dass ein überwiegend strafendes Lehrerverhalten Aggressionen in Schülern hervorrufen kann. (vgl. Hurrelmann und Bründel 2007, S.121 in meiner Wissenschaftlichen Arbeit, Kapitel 3.4). Fall A geht noch auf einen ganz anderen Punkt ein, nämlich dass Schule auch in Lehrern Aggressionen wecken kann. In der Literatur wird meistens nur die Schülerperspektive beschrieben, inwiefern Schule ihn ihnen Aggressionen weckt. Dabei ist meiner Meinung nach nicht zu vergessen, dass die Lehrer auch ein Teil dieses Systems sind; zwar haben sie sich ihren Beruf selbst ausgesucht, dennoch gibt es Lehrer, die sich in diesem System gefangen oder gar ohnmächtig fühlen. Hiermit wurde auf Seiten meiner Literaturrecherche und meiner Interviews die Hypothese, dass Schule selbst Aggression und Gewalt erzeugt belegt.

"Gewaltprävention muss immer eingebunden sein in ein umfassendes Präventionskonzept."

Wie schon oben erwähnt, benennen hier Fall A und Fall B zwei unterschiedliche Punkte, die meiner Meinung nach beide zu meiner Hypothese passen. Beide Interviewten stimmen der Hypothese zu, obwohl sie sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Fall A beschreibt, dass Prävention immer ganzheitlich gesehen werden muss, da die unterschiedlichen Themen der Prävention ineinander übergehen. Auch das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg wünscht sich, dass Prävention in ein breites Konzept der Gesundheitsförderung eingebettet sei und sich nicht nur auf spezifische Komponenten der Prävention beziehe (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2013, S.8).

Fall B hingegen hat die Hypothese so verstanden, dass die Schule geschlossen hinter dem Präventionskonzept stehen muss. Diese Aussage unterstützt auch Olweus, indem er sagt, dass die Erwachsenen der Schule gemeinsam beschließen, die Situation an ihrer Schule zu ändern (vgl. Olweus 2011, S.72 in meiner Wissenschaftlichen Arbeit, Kapitel 5.1). Beide Blickwinkel sind gerechtfertigt und können durch meine Literturrecherche belegt werden. Da ich ursprünglich die Hypothese so verstanden hatte wie Fall B, fande ich den Ansatz von Fall A umso spannender.

"Schule muss sich ändern, hin zur unterstützenden Instanz. Und sie muss die Schülerinnen und Schüler hinführen zu einem Bewusstsein ihres Gewaltpotentials."

Fall A und Fall B zeigten mir auf, dass diese Hypothese aus zwei voneinander getrennten Teilen besteht. Nach dem Schreiben meiner Arbeit sehe ich das ganz genauso. Deswegen werde ich die Teile getrennt voneinander belegen oder widerlegen.

"Schule muss sich ändern, hin zur unterstützenden Instanz."

Auch dieser Hypothese stimmen beide Interviewten zu. Fall A schlägt vor, dass die Schüler begleitet werden sollen und das beratend. Fall B sagt, dass die Schule sich der Gesellschaft öffnen muss. Auch betont Fall B, dass die Schule sich heute nicht mehr nur als eine reine Bildungseinrichtung sehen darf, schließlich hat sie heutzutage auch einen Erziehungsauftrag. Meyenberg und Scholz sowie Hurrelmann und Bründel sagen, dass die Schule Bildung nicht nur auf die Wissensvermittlung reduzieren darf (vgl. Meyenberg und Scholz 1995, S.75 in meiner Wissenschaftlichen Arbeit, Kapitel 3.4). Auch die Konflikt- und Spannungstheorie weist darauf hin, dass individuelle, personenbezogene, soziale und emotionale Fähigkeiten unberücksichtigt bleiben im Schulsystem (vgl. Hurrelmann und Bründel 2007, S.105 in meiner Wissenschaftlichen Arbeit, Kapitel 3.4). Somit wurde mithilfe meiner Interviews und der Literaturrecherche belegt, dass Schule sich auf jeden Fall ändern muss. Auch ist meiner Meinung nach der Begriff "unterstützend" in diesem Fall angebracht, da er für mich die Eigenschaften zusammenfasst, die laut der Konflikt- und Spannungstheorie unberücksichtigt bleiben. Würde die Schule sich nämlich zu einer unterstützenden Instanz entwickeln, würden individuelle, personenbezogene, soziale und emotionale Fähigkeiten geschätzt und unterstützt werden.

"Und sie muss die Schülerinnen und Schüler hinführen zu einem Bewusstsein des Gewaltpotentials."

Fall A sagt, dass die Schüler mit dem Thema Gewalt konfrontiert werden müssen um darauf sensibilisiert zu werden. Fall B betont, dass die Schüler das Bewusstsein dafür brauchen ab wann Gewalt überhaupt anfängt. Beide beantworteten mir diese Hypothese nur sporadisch in zwei Sätzen. Auch während meiner Literaturrecherche habe ich nichts gefunden, was mit diese Hypothese beantworten konnte. Deswegen kann ich diesen Teil der Hypothese nicht belegen.

"Schule ist ein Ort, an dem überhaupt erst wirksam Prävention geleistet werden kann."

Wie ich schon in der Auswertung meiner Interviews erwähnt habe, habe ich vergessen, Fall A danach zu fragen, was er dazu sagt. Fall B ist der Meinung, dass Schule nicht der alleinige Ort sei, an dem Prävention geleistet werden müsse. Es sei ein guter Ort, da man alle Schüler vor Ort habe, dennoch sei es auch eine Aufgabe der Gesellschaft. Des Weiteren betont das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg, dass Prävention am besten schon frühzeitig stattfinden solle. Wünschenswerte wäre es schon im Kindergarten damit anzufangen (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2013, S.8f).

In meiner wissenschaftlichen Arbeit habe ich mich auf die Gewaltprävention in Schulen konzentriert. Deswegen kann ich sagen, dass Schule ein Ort ist, an dem wirksam Prävention geleistet werden kann. Allerdings kann ich nicht belegen, weder anhand der Interviews noch anhand meiner ausgewählten Literatur, dass Schule der alleinige Ort ist, an dem Prävention wirksam geleistet werden kann. Folglich kann ich diese Hypothese nicht belegen.

Die Literaturrecherche und meine Forschung gaben mir nicht nur Antworten auf meine Hypothesen, sondern auch auf meine Forschungsfrage: Inwiefern findet Gewalt in Schulen statt und wie kann die Institution Schule diese vorbeugen oder gar verhindern?

In Kapitel 3.1. habe ich unterschiedliche Formen von Gewalt beschrieben, die in Schule vorkommen. Die Literatur holt hier natürlich viel weiter aus, als die Realität dann oftmals an den jeweiligen Schulen hergibt. Zum Beispiel kommt sexuelle Gewalt sehr selten an Schulen vor und entspricht nicht dem "Normalfall" von Gewaltformen an Schulen. Aber es ist klar, dass die Literatur natürlich alle Bereiche/alle Fälle, die schon einmal vereinzelt in Schulen vorgekommen sind, abdecken möchte. Gängige Formen von Gewalt an Schulen sind körperliche und seelische Gewalt, Vandalismus. Zu diesen Ergebnissen kam ich bei den Interviews. Deshalb finde ich es so spannend, Literatur mit realen Aussagen von Menschen, die im Berufsfeld Schule arbeiten, abzugleichen.

Schule kann Gewalt vorbeugen, indem sie ein Präventionskonzept entwickelt, hinter dem die ganze Schule steht. Auch können Gewaltpräventionstage und wirksame (Schüler-) Streitschlichtungskonzepte oder auch das Trainingsraumkonzept dazu beitragen, der möglichen Entstehung von Gewalt vorzubeugen.

Die Schule kann nur Gewalt verhindern, wenn sie eingreift. Auf dieses Eingreifen folgt meist eine Bestrafung der Schüler. Dies ist auch ein Grund, warum Schule als strafende Instanz beschrieben werden kann, da problematische Situationen immer disziplinarisch gelöst werden.

Auch ist nachgewiesen, dass Strafen Probleme nicht lösen. Laut der Trieb- und Instinkttheorie kann sich der Aggressionstrieb durch andere Anlässe entladen (vgl. Bründel und Hurrelmann 1997, S.35). Strafen können dazu führen, dass dadurch weitere latente Gewaltgefahren erzeugt werden (z.B. Amok). Strafen sollten nicht als einziges Mittel gegen "Problemschüler" eingesetzt werden, sondern sie sollten begleitet werden durch Gespräche und Beratung, wie der Schüler es schafft seine Situation zu verändern. Dieser Ansatz ist auch in der Trainingsraummethode wieder zu finden.

Des Weiteren möchte ich erwähnen, dass Schule mehr Raum bräuchte. Oft ist schon die Enge der Klassenräume ein Grund für den Spannungsaufbau. Man bräuchte Geld für größere Gebäude, die zusätzlich auch Räume bieten für einen kontrollierten Aggressionsabbau (Entspannungsräume, Boxsack etc.).

Wenn die Bereitschaft sowohl der Länder als auch der Kommunen fehlt, mehr Geld in die Bildung und in die Schulen zu investieren (z.B. Gebäude, Ausstattung, Personal, Deputate), dann bleibt Prävention möglicherweise einfach nur Flickwerk, ein notwendiges zwar, aber eben nur weniger wirksam, umfassend und kontinuierlich, als es möglich wäre. Hier ist die Politik gefordert.